Veranstaltung: | 1. Entwurf Landtagswahlprogramm Mecklenburg-Vorpommern |
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Antragsteller*in: | Schreibgruppe (dort beschlossen am: 28.05.2020) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 21.06.2020, 17:05 |
A10: STARKER RECHTSSTAAT
Text
Damit unsere Bürgerrechte in MV gewahrt bleiben!
Eine offene Gesellschaft benötigt Sicherheit. Wo Sicherheit fehlt, wird die
Freiheit bestimmt von Angst. Die Polizei ist in unserem Bundesland gerade in der
Fläche oft zu wenig präsent. Auch hat ihr Ruf wegen der Vorgänge um die
rechtsextreme Prepper-Gruppe "Nordkreuz" gelitten. Das Vertrauen in den
Verfassungsschutz ist wegen seines Agierens im Zusammenhang mit den Verbrechen
des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) schon länger erschüttert.
Demonstrationen von rechtsradikalen und rechtspopulistischen Parteien fordern
die Zivilgesellschaft heraus.
Auf der anderen Seite haben die Sicherheitsbehörden zahlreiche Befugnisse, die
in die persönliche Freiheit einer Vielzahl von Bürger*innen eingreifen. Eine
ausgewogene Balance zwischen Sicherheit und Freiheit ist von zunehmender
Bedeutung, denn hat eine Gesellschaft den Eindruck, dass die Staatsmacht ihr
misstraut, fängt sie unter dem Eindruck der Überwachung an, ihr Verhalten zu
zensieren und Freiheit geht verloren.
Sicherheit ist eine der schwierigsten Aufgaben für jede freiheitliche
Gesellschaft. Wir wollen uns dieser Herausforderung stellen und die Polizei
bürgerfreundlicher, Demonstrationen selbstverständlicher, die Privatsphäre
unantastbarer und den Verfassungsschutz transparenter machen.
15.1 Eine Bürgernahe und bürgerfreundliche Polizei
Wir BÜNDNISGRÜNEN wollen eine bürgernahe und bürgerfreundliche Polizei, die in
der Fläche präsent ist. Dafür wollen wir die Polizei besser ausstatten, nicht
nur mit Personal, sondern auch mit technischer Ausrüstung. In der Schaffung der
Stelle einer/eines unabhängigen Polizeibeauftragten, an die/den sich
Polizeibeamt*innen, aber auch Bürger*innen wenden können, sehen wir eine
Möglichkeit, verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen.
(1) Die Krankentage bei den Beamt*innen sind seit Jahren zu hoch. Die
wesentlichen Ursachen sind das hohe Durchschnittsalter und eine andauernd starke
Belastung. Trotz der politischen Kehrtwende der Landesregierung bei den
Einstellungszahlen ist aufgrund von zahlreichen (Alters-)Abgängen in der
Landespolizei die Zahl der aktiven Beamten weiterhin stagnierend. Die bereits
einsetzende, starke Pensionierungswelle hat außerdem zur Folge, dass vertieftes
Spezialwissen schlicht durch Zeitablauf verloren geht. Deshalb wollen wir
BÜNDNISGRÜNEN den Aufwuchs in den Einstellungszahlen bei 150 pro Jahr bis zum
Erreichen des angestrebten Gesamtbestandes aufrecht erhalten. Dazu wollen wir
mehr Haushaltsmittel für den Fachbereich Polizei und die notwendigen
Verwaltungseinheiten der FHöVPR Güstrow bereitstellen. Trotz ihrer Überlastung
wird die Polizei für Aufgaben eingesetzt, die nicht zwingend in ihre
Zuständigkeit fallen, wie zum Beispiel für die Begleitung von
Schwerlasttransporten, die mit den entsprechenden Rechten und Pflichten schon
heute von privaten Spezialfirmen erledigt werden könnten. Eine weitere
Entlastung der Polizei ließe sich durch die Entkriminalisierung von
Bagatelldelikten erreichen. Hier wäre zum Beispiel an die
Beförderungserschleichung (Schwarzfahren) oder den Konsum einer geringen Menge
an Betäubungsmitteln zu denken.
(2) Zur Aufgabenbewältigung gehört auch, dass die Landespolizei gut ausgestattet
ist. Um für die Digitalisierung und zunehmende Datenmengen, Novellierungen von
Gesetzesnormen, neuer Formen von Kriminalität, aber auch die zunehmende
Komplexität der Sachverhalte gerüstet zu sein, streben wir eine umfassende
technische Ausrüstung der Landespolizei an. Hierzu wollen wir bereits vorhandene
Erkenntnisse anderer Länderpolizeien berücksichtigen und bewährte Konzepte
übernehmen. Damit technische Erfordernisse auch umgesetzt werden können, wollen
wir BÜNDNISGRÜNEN eine Spezialisierung der Landespolizei durch verbesserte
Fortbildungsangebote, aber auch durch Prüfung der Einführung eines Y-Studiums
(Schutzpolizei und Kriminalpolizei) an der FHöVPR Güstrow.
(3) In den vergangenen Jahren sind mehrere Polizisten in Zusammenhang mit der
rechtsextremen Preppergruppe "Nordkreuz" gebracht worden. Einen von ihnen
verurteilte das Landgericht Schwerin im Dezember 2019 wegen Verstoßes gegen das
Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten
auf Bewährung. Für uns BÜNDNISGRÜNE steht außer Frage, dass unsere Landespolizei
die demokratischen Errungenschaften sowohl nach außen, aber auch nach innen
verteidigen muss. Als Reaktion auf extremistische Vorkommnisse in der
Landespolizei und zur frühzeitigen Erkennung von polizeilichem Fehlverhalten
wollen wir deshalb wissenschaftliche Längsschnittstudien, bei der (Motivations-
)veränderungen der Beamt*innen untersucht werden können. Auch soll der
Stundenanteil zur gesellschaftlichen und politischen Bildung vor allem während
der aktiven Dienstzeit erhöht und entsprechende Fortbildungen vorrangig von
zertifizierten externen Bildungseinrichtungen durchgeführt werden. Wir
BÜNDNISGRÜNE wollen eine gesunde, transparente Fehlerkultur in der gesamten
Hierarchie. Daher sehen wir die Etablierung einer/eines beim Landtag
angesiedelten, unabhängigen Polizeibeauftragten als sinnvolle Möglichkeit neben
der „Befehlsstruktur“ der Polizei Vorfälle, die evtl. noch vor einem Straf- oder
Disziplinarverfahren liegen, zu erkennen.
(4) Der Landtag hat im März 2020 ein neues Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG)
verabschiedet. Manche der darin vorgesehenen Befugnisse greifen
unverhältnismäßig weit in die Privatsphäre der Betroffenen ein und verletzen das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Das wurde auf mehreren
Sachverständigenanhörungen angesprochen. Obwohl die Verfassungsmäßigkeit des
Gesetzentwurfs nicht nur aus Sicht von uns BÜNDNISGRÜNEN zweifelhaft ist, wurde
er fast unverändert beschlossen. Die Polizeibeamt*innen brauchen für die von
ihnen ergriffenen Maßnahmen eine Rechtsgrundlage, die sie nicht jeden Tag in die
Gefahr bringt, gegen die Verfassung zu verstoßen. Wir BÜNDNISGRÜNEN setzen uns
deshalb für eine Reform des SOG ein.
(5) Die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) ist vorrangig ein
Arbeitsnachweis der Polizei, die nur das kriminologische Hellfeld betrachtet.
Ihre Zahlen lassen sich ohne wissenschaftliche Einordnung weder zwischen
verschiedenen Delikten noch über die Jahre seriös vergleichen. Daher wollen wir
GRÜNE neben der PKS einen periodischen Sicherheitsbericht unter Beteiligung der
Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, der die Grundlage für eine regelmäßige
vertiefte Berichtslegung über die Kriminalitätslage in Mecklenburg-Vorpommern
schaffen soll.
Eine personell, fachlich und materiell gut ausgestattete Landespolizei
garantiert jeder Bürgerin und jedem Bürger dieses Landes die ihnen zustehenden
Rechte und festigt damit unseren demokratischen Rechtsstaat.
15.2 Ein neuer Umgang mit Demonstrationen
Die Demonstrationsfreiheit gehört zu den Kerngrundrechten unserer Demokratie.
Der demokratische Meinungsbildungsprozess lebt vom Meinungsstreit. Friedliche
Versammlungen dürfen deshalb nicht von der Polizei aufgelöst werden. Denn nicht
die Ausübung des Grundrechts bedarf einer Rechtfertigung, sondern der
hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.06.2007 – 1
BvR 1423/07 –). Das gilt auch für Videoüberwachungen von Versammlungen.
Gewalttätige Demonstrationen sind dagegen verfassungsrechtlich nicht geschützt.
Zwischen Demonstranten und polizeilichen Einsatzkräften bestehen häufig
unterschiedliche Auffassungenüber die Zulässigkeit einer Versammlungsform (z. B.
Sitzblockaden). Werden polizeiliche Maßnahmen gegen Demonstrierende getroffen,
können die Geschehnisse oftmals im Nachhinein nicht mehr objektiv aufgearbeitet
werden.
Wir BÜNDNISGRÜNEN möchten Demonstrationen selbstverständlicher machen und
fordern:
• ...die numerische Kennzeichnungspflicht auf alle Einsatzlagen und alle
eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamte auszuweiten.
• ...einen Polizeibeauftragten als unabhängige Beschwerdestelle für Polizei-
Übergriffe zu schaffen.
• Sitzblockaden als legitimes Mittel des passiven Widerstandes anzuerkennen und
nicht länger als Straftat zu erfassen.
15.3 Eine unabhängige Justiz
Eine gerechte Justiz braucht eine angemessene Ausstattung. Wir BÜNDNISGRÜNE
wollen die Haushaltsmittel erheblich erhöhen, damit weitere Richter*innen,
Staatsanwält*innen und vor allem mehr Justizbedienstete angestellt und
angemessen bezahlt, Gebäude saniert und die notwendige Ausstattung an- geschafft
werden können.
Zum Gewaltenteilungsprinzip, auf dem unserer moderner Rechtsstaat beruht, gehört
auch die Weisungsfreiheit in der Justiz, die durch die richterliche
Unabhängigkeit verankert ist. Allerdings besteht eine Abhängigkeit zur Exekutive
(Landesregierung), weil diese die Richterinnen und Richter auswählt, einstellt
und befördert. EU-weit gehört Deutschland hinsichtlich der Selbstverwaltung der
Justiz deshalb zu den Schlusslichtern. Wir BÜNDNISGRÜNEN fordern, den Einfluss
der Landesregierung auf die Richterschaft zu beseitigen. Gerade aktuell zeigt
das in den Medien viel beachtete Konkurrentenstreitverfahren über die Besetzung
der Stelle der/ s Oberlandesgerichtspräsidentin/ en, das höchstdotierte
Richteramt im Land Mecklenburg-Vorpommern, die unrühmliche Einflussnahme der
Ministerpräsidentin auf.
Zukünftig sollte an Stelle der Landesregierung, der Landtag als Legislative für
die Richtereinstellung zuständig sein. Wir BÜNDNISGRÜNEN setzen uns für die
Prüfung von Modellen für die Selbstverwaltung der Justiz ein, wie sie
beispielsweise vom Deutschen Richterbund entworfen oder auch innerhalb der
Europäischen Union weit verbreitet sind.
15.3 Ein auf Resozialisierung ausgerichteter Strafvollzug
Der beste Schutz vor weiteren Straftaten ist, wenn Straftäter*innen künftig
straffrei leben. Dafür ist der Strafvollzug aus Sicht von uns BÜNDNISGRÜNEN
konsequent auf die Wiedereingliederung der Strafgefangenen in die Gesellschaft
auszurichten. Die im Gesetz über den Strafvollzug vorgesehene Vollzugs- und
Eingliederungsplanung ist personell hinreichend abzusichern. Die Strafgefangenen
sollten im Wohngruppenvollzug untergebracht werden. Auch sind die
Strafgefangenen für ihre Arbeit im Strafvollzug angemessen zu entlohnen.
15.4 Eine funktionsfähige Datenschutzaufsichtsbehörde
Noch nie war es so wichtig, elektronisch miteinander in Verbindung zu bleiben,
wie jetzt. Sichere Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation sind jedoch
rar. Wir haben uns daran gewöhnt, dass im Internet alles umsonst ist, von
Emailkonten und Messengerdiensten über die Nutzung sozialer Netzwerke bis hin
zur Videotelefonie. Diese Dienstleistungen sind jedoch nicht kostenlos. Wir
bezahlen sie mit unseren Daten. Die Anbieter dieser Dienstleistungen generieren
Werbeeinnahmen, indem sie unser Verhalten im Internet verfolgen, Nutzerprofile
von uns anlegen und sie für gutes Geld an Werbetreibende verkaufen. Diese
wiederum verwenden die uns betreffenden Daten, um auf den Seiten, die wir
besuchen, zielgenau Anzeigen mit Dingen zu schalten, die uns interessieren
könnten. Die in diesem Zusammenhang vorgenommenen Datenverarbeitungen sind aus
Sicht von uns BÜNDNISGRÜNEN in weiten Teilen rechtswidrig.
Zuständig für die Durchsetzung des Datenschutzrechts sind die
Datenschutzaufsichtsbehörden. Nennenswerte Aufsichtsmaßnahmen lassen jedoch auf
sich warten. Das liegt unter anderem daran, dass die
Datenschutzaufsichtsbehörden nicht über die dafür erforderlichen Ressourcen
verfügen. So hat der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit
Mecklenburg-Vorpommern zur Durchsetzung der europäischen Datenschutz-
Grundverordnung keinerlei zusätzliches Personal erhalten. Doch nicht nur das. Im
Doppelhaushalt 2020/2021 wurden die Mittel für die Bewirtschaftung der
Dienststelle mit einem Sperrvermerk versehen, was zur Folge hat, dass für das
laufende Jahr keine ausreichenden Mittel für Strom, Reinigung, Müllabfuhr und
Bewachung zur Verfügung stehen. Das kann nicht sein. Wir BÜNDNISGRÜNE wollen,
dass die / der Landesdatenschutzbeauftragte über die Ressourcen verfügt, die sie
/ er benötigt, um ihre / seine Aufgaben zu erfüllen.
15.5 Ein Verfassungsschutz, der die Verfassung schützt
Aktuell werden rund 1.500 Menschen in MV der Rechten Szene zugeordnet, 700 von
ihnen werden als gewaltorientierte Rechtsextremisteneingestuft. Rechte Haltungen
und Einstellungen reichen in Mecklenburg-Vorpommern schon lange bis tief in die
Gesellschaft und auch in den Landtag hinein. Im Landesparlament sitzen die
geistigen Brandstifter, die unter anderemVerantwortung für zahlreiche
rechtsmotivierte Straf- und Gewalttaten tragen.Das ist eine Bedrohung für die
Demokratie. Hier braucht es einen Verfassungsschutz, der diese Bedrohung ernst
nimmt und seiner Aufgabe gerecht wird, die Verfassung vor allem gegen die
Bedrohung von Rechts wirksam zu schützen. Auch in MV muss der Verfassungsschutz
Vertrauen zurückgewinnen, das ervor allemwegen seines Verhaltens im Zuge der
immer noch nicht abschließend aufgeklärten rechtsterroristischen Gewalttaten des
NSU verloren hat.
Wir wollen einen Verfassungsschutz, der offensiv rechtsstaatliche Mittel nutzt,
zutiefst demokratischen Ansprüchen genügt und Mittel und Methoden meidet, die
indirekt rechte Strukturen unterstützen. Daher wollen wir
ein Ende der Praxis, Mitglieder der Rechtsextremen Szene als
Informant*innen (V-Leute) anzuwerben. Dies finanziert nur
verfassungsfeindliche Strukturen,
eine Kontrolle des Verfassungsschutzes durch eine Parlamentarische
Kontrollkommission, die grundsätzlich öffentlich tagt und über
Arbeitsstrukturen verfügt, die eine wirksame Kontrolle des
Verfassungsschutzes durch Vertreter*innen des Parlaments gewährleistet,
eine kontinuierliche Aus- und Fortbildung des Personals der
Verfassungsschutzbehörde in Menschenrechts- und Demokratiefragen.
eine unabhängige Forschungsstelle „Demokratie”, die wissenschaftliche
Analysen demokratiefeindlicher und –gefährdender Bestrebungen erarbeitet,
der Öffentlichkeit durch Publikationen und Bildungsangebote zugänglich
macht und somit auch dem Verfassungsschutz eine wissenschaftsbasierte
Grundlage für seine Aufgaben bietet.
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